Interview der Aachener Sonntagszeitung mit dem Vorsitzenden der Aachcner Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung Ulrich Daldrup:

 

Der Mittelstand klagt, die Wirtschaft verliert an Schwung und die Zahl der Arbeitslosen nimmt wieder zu. Wo glauben Sie als Wirtschaftsexperte drückt der Schuh am meisten?

 

Der Mittelstand wird derzeit von zwei Seiten eher unvorbereitet und chancenlos getroffen: In Deutschland von einer mittelstandsunfreundlichen Wirtschafts- und Steuerpolitik und auf der anderen Seite durch einen mörderischen globalisierten Wettbewerb um Kosten, Märkte und Produkte. Der Mittelstand stellt in Deutschland. Die Steuerbelastung für Mittelständler ist in Deutschland mit 51,8% immer noch eine der höchsten der Welt. Unsere Nachbarn in den Niederlanden zahlen nur 35%, die Franzosen und die Belgier 40%. Die Steuergesetze der SPD geführten Bundesregierung favorisieren ausschließlich börsennotierte Großunternehmen, der Mittelstand zahlt fast doppelt so hohe Steuern in Deutschland wie Großkonzerne. Das neue Betriebsverfassungsgesetz ist dermaßen ungerecht gegen den Mittelstand, daß ich nicht verstehe, warum es nicht zu einer Verfassungsklage kommt. Als Beispiel: Ein Mittelständisches Unternehmen mit 200 Mitarbeitern muß einen Mitarbeiter freistellen für den Betriebsrat, ein Unternehmen mit 2.000 Mitarbeitern aber nicht zehn mal mehr, also 10, sondern „nur“ fünf freistellen, und ein Unternehmen mit 20.000 Mitarbeitern nicht etwa 100 sondern „nur“ 17. Das heißt, je größer ein Unternehmen ist, um so weniger Mitarbeiter muß es, im Verhältnis zur gesamten Anzahl der Mitarbeiter freistellen. Dies ist eigentlich ein Skandal. Als nächstes kommt das als Basel II inzwischen doch berühmt-berüchtigt gewordene neue Kreditverfahren der Banken. Auch hier braucht man kein Prophet zu sein um zu wissen, daß wenn diese neuen Kreditvorschriften so kommen wie sie beabsichtigt sind, der Mittelständler im Schnitt für seinen Kredit, wenn er dann überhaupt noch Kredit bekommt, 2% höhere Zinsen zahlen wird als der Großkonzern.

Hinzu kommt die unsinnige Ökosteuer und politische Energieverteuerungen, neue Kosten und mehr Bürokratie durch 630-Mark-Gesetz, das Scheinselbständigkeitsgesetz, eine Verlängerung der AfA-Tabellen und die "Reform" des Betriebsverfassungsgesetzes, die nur der Machtsicherung der Gewerkschaftsfunktionäre dient; eine Steuerreform, die die kleinen Personengesellschaften erst nach 5 Jahren entlastet und ein regulierter Arbeitsmarkt, der neue Beschäftigungspotenziale verhindert. Das Resultat folgt auf dem Fuße: die Konjunktur lahmt, statt Abbau der Arbeitslosigkeit stagniert steigt die Zahl der Arbeitslosen, die Abgabenquote steigt wieder an.

Der Mittelstand ist die Mehrheit unserer Bevölkerung. 98 Prozent aller Betriebe, die 64 Prozent aller Arbeitnehmer beschäftigen, 80 Prozent aller jungen Menschen Ausbilden, 57 Prozent des BIP erwirtschaften und 44 Prozent aller Investitionen durchführen.. Unter den derzeitigen Bedingungen kann der politisch kaltgestellte Mittelstand nicht wie früher das Fundament unserer Wirtschaft und das Rückgrat unsere Gesellschaft bleiben. Zunehmend schließen viele Mittelständler frustriert ihre Unternehmen oder verweigern Wachstum in ihren Unternehmen, weil es nicht lohnt. Sehen Sie nur, wie die deutsche Politik derzeit mit unseren Ärzten umgeht.

 

Was kann die Politik dagegen tun?

 

Nicht alles, was den Mittelstand belastet ist von der Politik zu verantworten. Aber die tatsächlichen Belastungen stammen eindeutig aus der verfehlten Mittelstandspolitik in Deutschland. Ich habe in der ersten Frage viele der in den zurückliegenden drei Jahren entstandenen Ungerechtigkeiten und Belastungen des Mittelstandes aufgezeigt. Ich kenne Länder, denen der Mittelstand so wichtig ist, daß sie eigen ein Ministerium für Mittelstandspolitik haben. In Berlin habe ich den Eindruck, daß der Begriff Mittelstand derzeit genau so unbekannt ist wie der der sozialen Marktwirtschaft. Warum schaffen wir es nicht ein Gesetz zu verabschieden, daß die Abgabenquote an den Staat auf 40% begrenzt. Dann ist es vorbei mit dem Kassieren durch immer phantasievollere Steuern. Ich bin sogar überzeugt, daß dann ohne Gegenfinanzierung der Staat mehr Steuern einnehmen würde, weil sich dann Arbeit wieder lohnen würde. Im Handwerk blüht die Schwarzarbeit als dessen größter Konkurrent. In Deutschland lohnt die Schwarzarbeit, die Staatsabgaben dabei sind 0%, die selbe Arbeit offiziell durchgeführt kostet etwa das doppelte. Wo bleibt da die Vernunft in der Wirtschaftspolitik. Kommunen zahlen Rechnungen an Handwerksbetriebe in der Regel so spät und schleppend, daß kleinen Betrieben einfach aus fehlender Liquidität die Puste ausgeht und sie schließen. Wo ist das Gesetz, das den öffentlichen Dienst zwingt, Rechnungen innerhalb von 14 Tagen zu bezahlen? Bei öffentlichen Ausschreibungen werden die Großkonzerne immer wieder bevorzugt – feststellbar auch in der Stadt Aachen. Unsere Bauwirtschaft kann da zahllose Beispiele geben. Die Politik muß handeln, sie muß schnell handeln – und dies in Deutschland auf allen drei Ebenen: Bund, Land und Kommunen. Der Mittelstand braucht den freien Wettbewerb, aber er darf nicht unloyal und verfälscht sein durch verfehlte staatliche Eingriffe, die Bevorzugung bestimmter Wirtschaftspartner (z.B. beamte, die als Berater und Gutachter gegen Mittelständler konkurrieren und die ihnen zur Verfügung stehende öffentliche Infrastruktur für ihre Auftragsabwicklung mißbrauchen). Es ist nicht nur ein Sache die geändert werden muß, es besteht umfassender Handlungsbedarf. Dazu muß man erst mal den Mittelstand ernst nehmen, was übrigens die CDU geführte Bundesregierung in ihrer Zeit auch nicht gemacht hatte.

 

Ein Trend, der offensichtlich an Aachen nicht spurlos vorübergeht. Der Kämmerer sucht neue Geldquellen, weil rund 70 Millionen Gewerbesteuereinnahmen wegbrechen. Wie bewerten sie diese Entwicklung?

 

Die Gewerbesteuer ist eines dieser Steuern aus dem deutschen Steuerantiquariat, die längst abgeschafft sein müßte. In Deutschland ist die Gewerbesteuer in den fünf neuen Bundesländern nie eingeführt worden, die anderen Staaten in der EU kennen diese Steuer nicht – nicht mal eine Übersetzung des Wortes gelingt. Andererseits ist die Gewerbesteuer eine wesentliche Einnahmequelle der Kommunen. Es ist eine Steuer, die recht kompliziert errechnet wird und deren Höhe die Kommunen beschließen. Hierdurch könnten die Kommunen Wirtschaftsförderung machen, indem sie diese Steuer niedrig ansetzen. Wegen der hohen Gewerbesteuer in Aachen ist die steuerliche Belastung in Aachener Unternehmen fast 70%. Da ist man als Unternehmer geneigt, Wege zu finden, dieser hohen Belastung aus dem Weg zu gehen. .In guten Zeiten nimmt die Stadt Aachen über 200 Millionen DM Gewerbesteuer pro Jahr ein. Dieses Jahr nicht. Einige Gründe sind die oben ausgeführten, aber auch die Tatsache, daß Großkonzerne, die hohe Gewerbesteuer zahlen müssen, diese in der Stadt zahlen, wo sie ihren Stammsitz haben. So können große Konzerne mit mehreren Niederlassungen relativ elegant der Gewerbesteuer ausweichen. In Frankfurt ist das ganz eklatant, wo viele Banken ihren offiziellen Sitz von Frankfurt in das 15 km entfernte z.B. Eschborn verlegt haben, wo der Gewerbesteuersatz deutlich niedriger als in Frankfurt ist. In Aachen ist wohl etwas ähnliches passiert. Außerdem betreibt die Stadt Aachen noch immer keine Wirtschaftsförderung. Auch die CDU Mehrheit hat eine solche nicht durchgesetzt. Der Kreis Aachen, die Stadt Düren machen beispielsweise eine ausgeprägte Wirtschaftsförderung und sind von solchen Problemen wie sie der Aachener Kämmerer hat, kaum tangiert.

 

Mit diesem Problem steht aber Aachen nicht alleine da

Das stimmt. Fast alle großen Städte haben solche Probleme, besonders ausgeprägt in diesem Jahr. Das wird in den folgenden Jahren noch schlimmer werden. Die Gewerbesteuer muß wegfallen und durch eine Steuer ersetzt werden, die es den Kommunen erlaubt, ihre Haushalte mit mehr Sicherheit zu kalkulieren. Keine Kommune kann eine gesunde Haushaltspolitik machen bei dieser anfälligen Gewerbesteuer, die aber zu fast 20% den Aachener Haushalt finanziert. Ich wünsche mir, das diese Steuer spätestes in 2002 abgeschafft und durch eine stabilere Steuer, die sich beispielsweise am Mehrwertsteueraufkommen orientiert, ersetzt wird. Leider kommt es in NRW für die Städte noch schlimmer, weil die überverschuldete Landesregierung von erneute zusätzliche Steueropfer von ihren Städte fordern will, von der Stadt Aachen allein 10 Millionen DM pro Jahr. Der Staat muß aufpassen, daß er seine Städte nicht vor die Wand fährt, vielleicht gemeinsam mit dem Mittelstand – dann würde es teuer, sehr teuer.

 

Müssen die Bürger die Zeche am Ende mal wieder zahlen?

 

Ja, natürlich. Dem Staat ist doch selten etwas anderes eingefallen als den Bürger durch neue Steuern und Abgaben, verschärfte Kontrollen, versteckte Abgaben (wie auf Energie) zu ärgern und zu frustrieren. Irgendwann sollen Autobahngebühren kommen. Die rot-grüne Stadtregierung in Aachen hatte ja eindrucksvoll gezeigt, wie man in kurzer Zeit die Finanzen auf allen Seiten in Unordnung bringen kann: der Stadthaushalt hatte durch unkluge und unkontrollierte Ausgabenpolitik für politische Projekte ein nie da gewesenes Minus erhalten, und andererseits war die Abgabenquote in Aachen eine der höchsten, wobei ich an Steuern, Abgaben, Parkgebühren, Bestattungsgebühren, Gewerbesteuer, Knöllchen, Müllgebühren u.v.m. denke. Ich frage immer zunehmend, ob die Bürgervertreter, die Steuer- und Abgabenentscheidungen sowie über Ausgaben und Investitionen in Räten und Parlamenten entscheiden, nicht in eine höhere, vielleicht sogar persönliche Verantwortung gezogen werden müßten, um mehr Bewußtsein dafür zu entwickeln, daß es das Geld des Bürgers ist, über das sie entscheiden. Mit welcher Leichtigkeit in Aachen im vergangenen Jahr über 20 Millionen DM, davon ein Großteil für eine Fehlspekulation mit unserer Müllverbrennungsanlage auf ein amerikanisches Steuergesetz, und andere ähnlich gelagerte Entscheidungen verpulvert werden konnte ist schon beachtlich.