Die unterschätzte Gefahr für den Mittelstand

Die neue Eigenkapitalrichtlinie „Basel II“ verkennt Eigenarten von Personenunternehmen

 

Kreditnehmer sollen mit einer neuen Eigenkapitalrichtlinie (BaselII) künftig nach Risikoklassen von A bis C eingestuft werden, wobei dann mit steigendem Risiko auch eine höhere Eigenkapitalhinterlegung durch die Banken vorgeschrieben sein soll. Praktisch bedeutet das: Wenn eine Bank künftig einem Kunden mit schlechterer Bonität einen Kredit gewähren will, muß sie dafür einen höheren Anteil des Kredits aus ihrem Eigenkapital zur Verfügung stellen. Dies würde nicht nur die Kreditvergabe der Banken entsprechend begrenzen, sondern auch die Kreditkosten verteuern. Wer also besser eingestuft wird, erhält gleichbleibende Kreditkonditionen, wird ein Unternehmen dagegen schlechter eingestuft, kann es nur dann einen Kredit bekommen, wenn es die durch die höhere Eigenkapitalhinterlegung höheren Kreditkosten der Bank auch zu tragen bereit ist.

Für alle Betriebe entstehen durch die Eigenkapitalrichtlinie Basel 11 zusätzliche Kreditkosten. Kapitalgesellschaften müssen der Bank eine Kreditbewertung - Rating - vorlegen. Das wird zu einem boomenden Geschäft für die sich schnell gründenden Ratingagenturen der Unternehmensberatungsgesellschaften. Solch ein Rating kostet einen fünfstelligen Betrag - bei großen Unternehmen einen sechsstelligen. Neben dem „externen Rating" soll aber auch ein internes Rating durch die Bank selbst möglich sein. Dies gilt vor allem für mittelständische Kunden. Die Bank muß also selbst die Kreditklassenbewertung des Kunden vornehmen. Darauf sind die Banken personell noch nicht vorbereitet, zumal sie ihre Bewertungsverfahren offenlegen, die Ergebnisse vergleichbar machen und ihre Verfahren von den zuständigen Aufsichtsbehörden genehmigen lassen müssen.

Das Rating der Kunden soll sich an den verwertbaren Sachwerten orientieren und ebenso die Kreditsicherheiten nach den Aktiengesellschaftsbewertungsrichtlinien bewerten. Dies ist prinzipiell bei Kapitalgesellschaften richtig. Mittelständische Unternehmen sind aber keine Kapitalgesellschaften, sondern Personenunternehmen. Ihre Stärke oder Schwäche liegt mehr als 50 Prozent in der Person des Inhabers. Die personalen Wertkategorien in einem mittelständischen Personenunternehmen entscheiden stärker über Erfolg oder Mißerfolg als die zur Verfügung stehenden Sachmittel. Dazu folgende Beispiele:

Mittelständische Unternehmer sind beispielsweise Freiberufler. Sie haben ein unterproportionales, zum Teil geringes Betriebsvermögen. Ihr Vermögen liegt in dem geistigen Know-how von Unternehmer und Mitarbeitern, mit dem sie ihren Umsatz und ihren Gewinn machen. Bisher konnten Volksbankenvorstände aus der Person heraus entscheiden, ob ein Kredit bei diesen Unternehmern sicher schien oder nicht. Die Ausfallraten der Freiberufler waren bisher sehr gering. Nach den für Kapitalgesellschaften geltenden, nur auf Sachwerten basierenden Ratingregeln dagegen würden solche personalen Stärken und Schwächen unberücksichtigt bleiben müssen. Wer keine Sachsicherheiten hat, wäre als Kreditnehmer unsicher, könnte also als mittelständischer Unternehmer nur nach schlechtesten Konditionen oder gar keinen Kredit mehr bekommen.

Handwerksbetriebe entstehen und bestehen auf Basis der Meisterposition. Der Meister ist die einzige unverzichtbare Säule seines Betriebes. In der Regel ist er auch Alleinentscheider. Auch im Handwerk sind Stärke oder Schwäche eines Handwerksbetriebes mehr als zur Hälfte von der Meisterperson abhängig und nicht von der Sachausstattung. Wie soll die Kreditsicherheit eines Handwerksbetriebes beurteilt werden, wenn die Persönlichkeit des Meisters dabei nicht mehr die entscheidende Rolle spielen darf? Wie soll ein Jungmeister zur Gründung Betriebsmittelkredite bekommen, wenn er nicht nur keine Sachmittel zur Sicherheit vorweisen kann, sondern auch noch kein persönliches Rating hat?

Zweck einer Kapitalgesellschaft ist möglichst hohe Rentabilität des Kapitals - shareholder value. Zweck eines Personenunternehmens dagegen ist nicht die Sachrendite, sondern sind die persönlichen Lebensziele des Unternehmers und seiner Familie. Das drückt sich auch im Gewinnausweis aus: Während Kapitalgesellschaften nur sehr gut sind, wenn sie sehr hohe Gewinne zeitigen, ist ein Personenunternehmen um so besser, je weniger es von seinen Gewinnen ausweist. Würden also die Personenunternehmen nach den Gewinnregeln der Kapitalgesellschaften beurteilt, muß die Kreditbewertung zu ganz falschen Ergebnissen kommen.

Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Sie zielen alle auf eine Differenz: Eine Kapitalgesellschaft und die für sie geltenden Kriterien sind völlig verschieden von einem Personenunternehmen und den in ihm geltenden Strukturen. Beide können daher nicht nach gleichen Kriterien geratet werden.

Die Bundesregierung hat bereits darauf hingewirkt, daß die ursprünglich schon für 2001 geplanten Grundsätze von Basel II auf 2005 verschoben worden sind. Dies war richtig, weil es - wie alle Beteiligten zugeben - noch erheblichen Diskussionsbedarf gibt. Der Hauptdiskussionsbedarf liegt aber in den Konsequenzen eines falsch - nämlich nach Kapitalgesellschaftskriterien - formulierten Ratings für die Personalunternehmen. Immerhin machen die Personalunternehmen nicht nur 96 Prozent unserer Unternehmen aus, sondern sind auch viel kreditbedürftiger als die Kapitalgesellschaften, weil sie sich auf dem Kapitalmarkt nicht mit Eigenkapital versorgen können, also mehr auf Fremdfinanzierung angewiesen bleiben. Schneidet man den mittelständischen Unternehmen die Fremdkapitalversorgung ab, gefährdet man 80 Prozent der Arbeitsplätze unserer Wirtschaft, 85 Prozent der Ausbildungsplätze, 50 Prozent des BSP und zwei Drittel der öffentlichen Sozial- und Staatseinnahmen.

Die Bundesregierung sollte daher gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern darauf dringen, daß Basel 11 nur für Kapitalgesellschaften gilt, für Personenunternehmen dagegen ein mittelstandsgerechtes Rating geschaffen wird. Nur mit einer speziellen Mittelstandsklausel ist eine Eigenkapitalrichtlinie wie Basel 11 für den Mittelstand und für die Mittelstandsbanken (etwa die Genossenschaftsbanken) überhaupt erträglich. Selbst wenn die Kriterien mittelstandsgerechter formuliert würden, wird voraussichtlich der Kredit für den in der Regel schlechter eingestuften Mittelstand teurer. Dies läge aber nicht im Sinne

unserer auf dem Mittelstand basierenden Volkswirtschaft. Es müßten also zusätzliche öffentliche Kreditprogramme (zum Beispiel Zinszuschußprogramme) die Verteuerung aufzufangen helfen. Da der Mittelstand im Gegensatz zu den Kapitalgesellschaften Eigenkapital nur aus eigenen Gewinnen, nicht aber vom Kapitalmarkt bekommen kann, sollte Basel 11 Anlaß zu der lange verlangten Eigenkapitalsanierung unserer mittelständischen Wirtschaft werden.

Ludwig Erhard hat das Wirtschaftswunder aus eigenkapitalschwachen Unternehmen dadurch zustande gebracht, daß er bis 1956 die Steuerfreiheit des im Unternehmen verbleibenden Gewinns gesichert hat. Dies war nach seiner Ansicht das beste Mittelstandsprogramm. Die SPD ist dieser Gedankenrichtung durch den Vorschlag der steuerfreien Investitionsrücklage auf halbem Wege gefolgt. Sie sollte den ganzen Weg gehen. Das würde bedeuten, daß die am meisten wachsenden Betriebe, die auch den meisten Kreditbedarf haben, diesen aus den eigenen Gewinnen decken könnten, daß stärker selbstfinanzierte Betriebe unabhängiger von den Banken und von Bankenkrediten werden und außerdem auch ein höheres Rating hätten, daß eine Steuerfreiheit der im Unternehmen verbleibenden Gewinne praktisch immer nur Steuerstundung darstellt, weil ja irgendwann die Gewinne dennoch ausgeschüttet und dann versteuert werden würden.

Die letztere Lösung wäre die beste und dauerhafteste. Irgendeine Lösung muß her, wenn die Restriktionen von Basel 11 zugelassen werden sollten. Drückte sich die Regierung vor einer Entscheidung und bliebe sie untätig, so würden nicht nur alle Personalunternehmen des Mittelstandes dadurch entscheidend geschädigt, sondern unsere ganze Volkswirtschaft. Die Regierung Schröder hat bisher in allen Wirtschaftsgesetzen  und besonders in der Steuerpolitik nur die Konzerne und Gewerkschaften begünstigt, dem Mittelstand aber Belastungen und Kosten dafür aufgebürdet. Die Frustration in der mittelständischen Wirtschaft gegenüber Schröder hat inzwischen schon wieder einen Frustrationsgrad erreicht, den sie in der Endzeit Kohl hatte.

 

Aus FAZ,  Seite 18, Dienstag 23.10.2001

Von Eberhard Hamer,

Der Autor ist Leiter des Mittelstandsinstituts Niedersachsen e. V.